Steinzeugschalen und Flusssand

triptychon:fluss, seitenansicht schalen, fluss

Kufstein 1993

Im Sommer 1993 stellte ich 60 Steinzeugschalen in die Kasematten der Festung Kufstein. In dieser Stadt lebte ich längere Zeit.

Die einfachen Schalen waren mit unterschiedlichen Mengen Flusssand gefüllt, der durch den Brennvorgang (1200°) zusammenbuk und sich zu Sandstein verwandelte. Den wunderbar feinen Sand entnahm ich von einer kleinen Au am südlichen Stadtrand.

 

Nach einiger Zeit existierten nur mehr wenige Schalen unversehrt. Die Schalen wurden mitgenommen, benutzt oder zerstört. Ich dokumentierte die Zerstörung und die Analogie zur Aulandschaft drängte sich auf: Das ehemaligen Naturschutzgebiet Langkampfener Innauen war mittlerweile von einer Kraftwerksanlage überbaut worden.

im rundgang
steht eine schale
ist wie das schiff
und die welt
- rund

stromabwärts
wandern die steine
im wasser
an den rändern
werden sie sand
und immer (noch)
- rund

im bauch der schale
ist er gesammelt
zur hälfte voll
und auch halb leer
ist er wieder als ganzes
zu stein gebrannt
(der sand)
- ins rund

Die Wurzeln dieser Arbeit liegen an zwei Interessensschwerpunkten von mir:

An der Vielfalt der keramischen Gefäßformen beschäftigte mich immer die Schale am meisten. Die Schale in ihrer reduzierten Schlichtheit ist für mich der Archetypus des Gefäßes schlechthin. Außerdem habe ich ein neugieriges, noch schüchternes Verhältnis zum Stein. Tone und Gesteine sind in ihrer chemischen und mineralogischen Zusammensetzung ähnlich. Sie durchlaufen wechselweise den einen oder anderen Zustand in den Jahrmillionen der Erdgeschichte.

Feinster Sand hat seinen Ursprung in mechanisch zerkleinertem Gestein, weiche Tonerde entstand aus verwittertem, feldspathaltigem Gestein. Nach undenklichen Zeiten wird aus Ton erneut Stein.

Bereits in einer früheren Arbeit übertrug ich die hellen Adern eines Steines auf die Innenfläche einer großen dünnwandigen Schale. Diese Schale habe ich in einem Quarzbett, einer gedrehten Brennkapsel, die mit Quarzsand gefüllt war, gebrannt. Um das optimale Material zu finden, machte ich Brennproben mit verschiedenen Sandsorten. Dabei erkannte ich den ästhetischen Eigenwert dieser einfachen Schalen, die an Schmelztiegel erinnern.

Daraus keimte eine neue künstlerische Vorstellung.

Das Material

Seit Jahren bewahre ich Sand von den letzten Resten der Innauen bei Kufstein auf. Dieser wunderbar feine Sand von hellgrauer Färbung ist kalk- und eisenhältig und bäckt bei 1200 Grad zusammen. Er verändert dann seine Farbe ins Dunkelgraubraune und wird zum Stein.

Ich plante eine Komposition des hellen Schalengrundes mit den dunklen Sand(stein)füllungen. Als Drehton für die Schalen wählte ich eine grobschamottierte Steinzeugmasse, die normalerweise zum Drehen nicht verwendet wird.

Durch das Töpfern wird aber die grobe Körnung gut sichtbar. Damit entwickelt der Scherben insbesondere bei seitlichem Lichteinfall eine lebhafte und doch verhalten bewegte Oberfläche.

Den Brand im Gasofen führte ich reduzierend. Dadurch erreichte ich eine abgetönte graue Farbe des Scherbens, der eigentlich eine weißbrennende Steinzeugmasse ist.

Sandgebilde

Immer mehr wurde auch die Handlung, den Sand ein zu schütten, aus zu leeren, die Schalen zu füllen, zu einem sich erweiternden Gestaltungsmittel, ja zu einem Gestus, erinnernd an Malerei. Einerseits die Begrenztheit durch die serielle Gefäßform, andererseits die Individualität durch die Spuren der arbeitenden Hände: Töpferrillen, leichte Formunterschiede und der Sand als individuell gestaltendes Medium.

60 Steinzeugschalen

 

Ich habe viele Jahre in Kufstein gewohnt. Einige Jahre gehörte ich einer losen Interessensgemeinschaft Kufsteiner Künstler an. Im Rahmenprogramm der Tiroler Landesausstellung 1993 auf der Festung Kufstein wollten wir künstlerische Akzente setzen.

Bei der Begehung des Burggeländes wurde mir klar, dass ich die Schalen für die Kasematten konzipieren möchte.

Die Kasematten schließen das Burggelände nach Süden hin ab. Außen die steil abfallenden Felswände, innen grenzen sie eine ebene Grasfläche halbkreisförmig ein.

Zeichen an der Wand

Die Kasematten sind in einzelne Kammern gegliedert, die je mit einer Quertonne überwölbt und mit Bogendurchgängen verbunden sind. Für meine Schalen wählte ich den Gang, der parallel und nur wenige Meter vom Inn entfernt, aber auf dem Burgberg, verläuft.

Die erste und die letzte Kammer ist jeweils fensterlos und völlig dunkel, die anderen haben Fensteröffnungen nach Osten, manche auch nach Westen.

Der Haupteingang zu den Kasematten befindet sich an deren „Gelenk“,  dort, wo der Gang seine Richtung um 45 Grad ändert.

Betritt man den rechten Eingang, so hat man den REinblick in meine Installation. In der ersten völlig dunklen Kammer befinden sich zwei Leuchtkästen.

Die Schalen, s/w in Draufsicht fotografiert, vertikal angeordnet und mit Neonlicht durchleuchtet vermitteln den Eindruck einer
naturwissenschaftlichen Versuchsreihe.

Das Gedicht setzt die Veränderung der Gesteine durch die Mahltätigkeit des Wassers in Kontext mit den keramischen Schalen und dem Aufstellungsort. Der Text wurde in Hinterglastechnik aus einer schwarz lackierten Glasplatte gekratzt.

Am Ende ist jedes Abbild ein Gleichnis.

Ein Aspekt meiner Arbeit ist die Gegenüberstellung von Natur- und Kunstprodukt.

Dabei beobachte ich Veränderungen: Langsame, schnelle, natürliche, künstliche, ordnende und zerstörerische,
die wieder neue Ordnungen hervorbringen.

Das Konzept verselbständigt sich

Von den 60 Schalen, die in den frei zugänglichen Kasematten standen, blieb letztlich keine übrig. Sie wurden gestohlen, zertrümmert, den Burghang hinabgeworfen, angemalt und als Toilette benutzt. Einige, die ich noch in meinem Tiroler Atelier gelagert hatte, wurden bei der Schleifung dieses Hauses dem Erdboden gleich gemacht.

Ich lernte diese anhaltenden Zerstörungen, gegen die ich mich nicht wehren konnte, als Kontinuum im Konzept zu begreifen und begann die Zerstörung zu dokumentieren, sie als Veränderung zu sehen, deren Ergebnis ebenfalls seinen ästhetischen Reiz hatte.

Auch die Veränderungen in der Au gingen mittlerweile so weit, dass sie zu deren Eliminierung führten. Aus der Innau wurde ein Innkraftwerk, die Staustufe Langkampfen. Die Kasematten sind nicht mehr frei zugänglich, sie wurden baulich verändert und werden nun für kommerzielle Veranstaltungen benützt.